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TxT · № 16

Der indische Architekt Bijoy Jain feiert weltweit Erfolge mit seinen Häusern. In einem Workshop im Sitterwerk vermittelte er eine Woche lang seine einzigartige Entwurfsmethode an Studentinnen und Studenten aus der Schweiz.




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St.Galler Tagblatt
18. Juli 2011
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Die Architektur des Handwerks

Architekten ärgern sich gelegentlich über Handwerker, die nach ihren eigenen Vorstellungen arbeiten. Auch Bijoy Jain musste diese Erfahrung machen, als er nach seinem Architekturstudium in den Staaten ein eigenes Büro in Indien aufbauen wollte. So viel er auch zeichnen mochte, auf den Baustellen kümmerten sich die Handwerker selten um seine Pläne, denn viele unter ihnen konnten diese gar nicht lesen. Doch statt weiterhin bloss über die verfahrene Situation zu klagen, machte Jain aus der Not eine Tugend und drehte den Spiess kurzerhand um.

Entwerfen im Kollektiv

Seit nunmehr fünfzehn Jahren entwirft er in seinem «Studio Mumbai» alle Projekte in enger Zusammenarbeit mit den rund 100 Handwerkern, die bei ihm angestellt sind. Das Kollektiv bündelt ein enormes Wissen aus allen Regionen Indiens, da die Arbeiter häufig aus Familien stammen, in denen Meisterschaft über Generationen hinweg entwickelt und weitergegeben wurde. Und so entwirft Bijoy Jain seine Häuser nicht mittels Zeichnungen und Plänen, sondern es entstehen in langen Versuchsreihen unzählige Modelle und Muster in allen Massstäben, welche dann vor Ort als Bauanleitung zur Verfügung stehen. Diese unorthodoxe Entwurfsmethode hat dem 47-jährigen Inder bereits eine Ausstellung an der letzten Architekturbiennale in Venedig eingebracht, was gemeinhin als Ritterschlag in der Welt der Architekten gilt. Im Moment ist dem «Studio Mumbai» eine gemeinsame Werkschau im Sitterwerk und dem Vorarlberger Architekturinstitut gewidmet.

Selbst Hand anlegen

Etwa zwanzig Studierende der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und der Architekturhochschulen von Luzern, Zürich und Winterthur hatten zusammen mit externen Gästen nun die Möglichkeit, eine Woche lang selbst anzupacken und mit dem Handwerker in sich zu kooperieren. Der Ort konnte passender nicht sein, steht das Sitterwerk mit seinem Materialarchiv und der Kunstgiesserei doch für eine perfekte Verschmelzung von Geist und Hand.
Unter der Anleitung von Bijoy Jain und regionalen Fachleuten werden Versuchsreihen zu den Themen Gips und Farbpigmente erstellt. Und so mischen die zukünftigen Architektinnen und Architekten ihre eigenen Farben, rühren eimerweise Gips an, geben der Oberfläche eine Struktur und den gewünschten Glanz. Gearbeitet wird draussen unter einem temporären Vordach, das alleine aufgrund seiner Machart schon so exotisch wirkt, dass es ebenso gut in Indien stehen könnte. Insbesondere, wenn sich über dem Sittertobel dann auch noch monsunartiger Regen entlädt.

Neugierde und Offenheit

Die Studenten lassen sich mit Freude ein auf das Experiment mit dem Material. Und Bijoy Jain gibt sein Wissen gerne weiter, wenn er sich unter die Schar der Studenten mischt. Es ist die Neugierde und seine offene Art, die den indischen Architekten antreiben. Er habe diese Woche schon wieder sehr viel gelernt, meint der Meister denn auch ohne den geringsten Hauch von Ironie, als er den Studenten in seinem Workshop interessiert über die Schultern schaut.
Es bleibt zu hoffen, dass auch die Teilnehmer des Workshops dereinst ihre Schreibtische verlassen werden, um gelegentlich selbst Hand anzulegen und im Dialog mit dem Handwerk nach innovativen Lösungen zu suchen.


Marko Sauer am, 10 01 2013

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